Beim Doktor

Schon über zwei Monate wurde ich immer häufiger von ziemlich unangenehmen Schwindelanfällen geplagt. Bei starken Temperaturschwankungen, fühlte ich mich oft sehr „ohschärrisch“ und ich beschloss, möglichst bald meinen Arzt zu konsultieren.
In der Frühe des nächsten Morgens, machte ich mich auf den Weg in die Praxis, um einer der Ersten im Wartezimmer zu sein.
Dies haute schon nicht mehr ganz hin! Das Wartezimmer war gestoppten voll, mit alten, mit jungen, mit dicken, mit dünnen, mit hustenden, schnupfenden, Gipsbein tragenden, nörgelnden, jammernden, nach Luft ringenden, sich über die vergangene goldene Hochzeit und das offene Bein unterhaltenden, einen Krankenschein begehrenden, muffig und nach „Kölnisch Wasser“ riechenden, den Katheter aus der Trainingshose heraushängenlassenden Patienten.
Die Stammgäste und Experten unter ihnen fachsimpelten: „Eesch glääb, haut Morje, dauerts e bissje länger!“
„Och was, die Lohne hott er hurdisch dursch.“
„Kennt vielleecht emohl jemand det Fensta offmache, loh stenkts joh schon rischdisch!“
„Nix! Det Fensta bleebt zou! Eesch glääb ihne hackt`s, eesch honn 42 Feijwa!“
„Sah mohl Paula, dau seijst awwa rohlisch oos, haut Morje. Dau besst joh ganz groh em Gesiescht!“
„Ei mir es et aach gar net gout! Eesch glääb, die naue Trobbe, wo der mir verschrieb hott, die daue nix! Eesch senn gester am Kaffedisch sesaamegerommbelt! De Otto hott mich noch grad e so kreijt!“
Ich nahm mir eine, schon ziemlich alte und zerschlissene, mit vielen Krankheitskeimen behaftete Illustrierte vom Stapel, und informierte mich über den Streit, den Prinzessin Stephanie von Monaco, gerade mit ihrem verflossenen Lover, dem Gärtner ihrer Parkanlagen austrug.
Sie hatte wohl aus einer Laune heraus, die sexuellen Qualitäten des gutgebauten Parkarbeiters beansprucht und ihn dann abserviert. Jetzt schreibt er seine Memoiren und kann wohl schon bald, einen eigenen Gärtner beschäftigen.
Hat Claudia Schiffer Magersucht?!
Ist Victoria Beckham von ihrem Gatten betrogen worden?!
Pamela Anderson`s Implantat geplatzt!
Der Jagdhund von Prinz Charles aus Versehen auf einer Fuchsjagd erschossen!
Ich dachte noch, was für ein Glück, dass es keine Elefantenjagd war, sonst hätten sie wahrscheinlich aus Versehen den Charles erwischt.
Ich las mich durch den ganzen Zeitungsstapel. Von den interessanten, mit hübschen, leichtbekleideten Damen verzierten Hochglanzillustrierten, bis zu den weniger interessanten Broschüren, wie etwa: „Ärzteforum“, „Kapitalanlage für den Jungarzt“, „Der Kasse ein Schnippchen schlagen!“ „ Mayer`s Hygieneartikel für die moderne Praxis“, usw.
Ich musste so lange warten, dass ich sogar auf Illustrierte zurückgriff, die ich vor drei Stunden schon zum vierten Mal gelesen hatte.
Endlich öffnete sich die Tür des Wartezimmers. „Herr Weller bitte!“ Ich folgte der Arzthelferin ein paar Meter durch den Flur der Praxis, bis sie sagte: „So Herr Weller, setzten se sich noch e Momentche eloh off de Stouhl.“ Aha, den Trick kannte ich schon! Bevor der Patient im Wartezimmer vollkommen plem-plem wird, schenkt man ihm die Illusion, er würde jetzt bald behandelt werden und setzt ihn im Flur auf einen Stuhl, bis er Schimmel zieht.
Doch ich hatte Glück! Nach etwa zwei netten Stunden im Flur, in denen ich mich damit beschäftigte, die Fasern der Rauhfasertapete zu zählen, ein Geduldsspiel einer Pharmafirma zu spielen, bei welchem es darum ging, ein etwa 1,1mm großes Kügelchen, in ein etwa 1,0mm kleines Loch zu befördern und die Schritte der ständig hin und her hetzenden Arzthelferinnen zu zählen, kam die Erlösung: „So Herr Weller, sie kenne jetzt en Zemma zwo gehn, de Doktor kemmt gleesch.“ Es dauerte auch wirklich keine dreiviertel Stunde mehr, bis der Heiler kam und mich fragte: „Onn Herr Weller, wo fählt`s dann?“
„Ei mir es et die ganz letzt Zeet emma so komisch!“
„Daat missen se ma schon e bisselche genauer erkläre!“
„Ei emma, wenn eesch mich begge onn stehn dann off, dann wird’s mir ganz tronge!
Oora, wenn eesch omm Klo hogge onn stehn dann schnell off, dann wird’s mir emma schwennelisch, dann fällt mir manchmohl die Zeerung oos da Hand onn eesch turgele dursch det ganze Badezemma!“
„Ei Herr Weller, eesch däät sahn, ma gugge emohl nohm Bloutdruck!“
Er befestigte die Manschette des Blutdruckmessgerätes an meinem linken Oberarm und stellte meinen Blutdruck fest. „Hhm! De Bloutdruck, der es eigendlich gar net e so rohlisch. Eesch däät sahn, eesch gänn ihne die Trobbe eloh onn dann machen se met de Määd drooß e Termin ab, dass ma se mohl ordentlich tschegge!“
Ich verabschiedete mich von ihm und ging zur Rezeption. Petra, eine nette, sympatische Arzthelferin, fragte mich: „Solle ma e Terminche mache, Herr Weller?“ Sie hatte das Haar zu einem französischen Zopf frisiert und sah einfach umwerfend aus.
„Wie wärs dann am Mettwochmorje om viertel vor Acht, Herr Weller?“
„Es mir räescht.“
„Ei dann mache ma et e so. Awwa Herr Weller, denken se draan, sie misse nieschderre senn, weje dem Bloutabhulle!“
Klasse! Blutabnehmen! Wenn ich etwas nicht ausstehen kann, dann ist es Blutabnehmen!
Dagegen ist eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt, schon fast ein Hobby von mir.
Am folgenden Mittwochmorgen, stand ich pünktlich um viertel vor Acht, an der Rezeption der Praxis. Petra, die das Haar an diesem Morgen einfach hochgesteckt trug, begrüsste mich auf ihre nette, sympatische Weise und sagte: „Sie kenne gleesch metkomme, Herr Weller.“
Das ging zu schnell! Viel zu schnell! Ich wollte doch noch etwas lesen und mich mental auf das Blutabnehmen vorbereiten. Doch ich hatte keine Chance, ich musste ihr folgen.
„So, dann machen se emohl de lenge Arm frei, Herr Weller.“ Ich wickelte den Ärmel meines karrierten Hemdes, so weit hoch, wie es ging und bot ihr voller Angst meinen entblösten Arm dar. Sie legte eine Manschette um meinen Oberarm und zog fest zu, um das Blut zu stauen. Nachdem sie Desinfektionsmittel und einige Spritzen herbei geholt hatte, konnte es losgehen!
Petra reinigte mir die Armbeuge mit einem Tupfer, der mit diesem Desinfektionsmittel getränkt war und sagte: „ So Herr Weller, jetzt machen se emohl en Foost.“ Ich machte eine Faust.
„Tja, sie honn rohlische Vene! Dat wird net e so äänfach, Herr Weller!“
Jetzt war ich aber wirklich verunsichert! Bei einem vorangegangen Besuch, eines Kreuznacher Facharztes, merkte ich den Einstich der Kanüle überhaupt nicht! Ich machte der Arzthelferin sogar noch ein Kompliment, indem ich sagte: „Von ihne, kennt ich mich de ganze Daach steche losse!“
Darauf meinte sie: „Also das ist wirklich kein Kunststück, bei ihren tollen Venen!“
Petra warnte mich: „Gleesch kennt`s e bissje weh doun.“
Wo sie recht hatte, hatte sie recht!
Es tat sogar sehr weh! Und gleich kam das flaue, ekelhafte Gefühl, zu wissen, dass eine etwa 6 cm lange Kanüle, bis zum Anschlag in meiner Ader steckt und mir gleich der kostbare Lebenssaft abgesaugt wird.
Ich nehme mir immer wieder vor, bei dieser Prozedur, auf keinen Fall zu zuschauen, aber immer wieder zwingt mich eine unbekannte Macht, es doch zu tun.
Als ich diesmal hinschaute, erwischte ich gerade den Moment, als Petra die erste Füllung zur Seite legte und gerade versuchte, auf die noch im Arm steckende Kanüle, eine neue Spritze aufzustecken. Dies tat höllisch weh, sah ekelhaft aus und dann kann ich mich nur noch erinnern, wie Petra mir die Wangen tätschelte und rief: „Herr Weller! Herr Weller! Hallo!“
Anscheinend, hatte mich eine leichte Ohnmacht für einen kurzen Augenblick erlöst!
Etwas Ähnliches, hatte ich einmal in einem Film gesehen, in welchem es um Folterungen während eines Inquisitionsprozesses ging.
Nach der Blutabnahme, sagte sie mir, dass die Blutproben im Labor ausgewertet werden müssten und wir vereinbarten einen neuen Termin beim Arzt.
Erneut musste ich die verschiedenen Warteschleifen durchlaufen, bis ich dann endlich, diesmal in Zimmer drei, vor dem Doktor saß.
„Tja Herr Weller, eesch seijn eloh, de Cholesterinwert, der gefällt ma net. Der es e bisselche aarisch weet uwe!“
„Ja onn wat mennen se, wo draan daat leet, Herr Doktor?“
„Sie esse se fett! Dann nemme ich aan, dass sie dat ääne, oora dat annere Beija seviel trenge onn so weera! Onn wenn eesch mir sie e so beseijn! Honn sie zougenomm, iewa de Wenda?“
„Näh Herr Doktor, eigentlich net!“
Ich hatte fünfeinhalb Kilo zugenommen, aber das musste ich ihm ja nicht unbedingt gestehen!
„Onn dann Herr Weller, wie seijt`s dann oos, met dem Sport?“
„Och, so direkt Sport, mache eesch joh quasi net.“
„Dat hääßt emm Klartext, sie mache gar Nix!“
„Gar Nix, kann ma aach net sahn. Eesch gehn joh schließlich angele!“
„Herr Weller! Sie wolle mich wohl verkackeijere! Onner Sport, verstehn eesch: Foußballspiele, Tschogge, Schwemme, Tennis, Sgwosch, Mauntinbaikfahre onn so weera!
Sie misse ihr Läewe ännere! Sie misse faste, Sport treewe onn e aanstännijer Mensch wäere!“
Vollkommen niedergeschlagen, verließ ich die Praxis, sagte an der Rezeption noch kurz: „Tschöh“ und machte mich auf den Heimweg.
Doch nach ein paar Monaten, einigen hundert Kilometern „Tschoggen“ durch den Mörschieder Wald und nach Änderung meines Lebens, konnte ich den Cholesterinwert, bis fast zum Normalwert manipulieren und meine Beschwerden waren verschwunden.